Gesperrte Militär-Zonen, Outposts & Siedlungen (3/5)

Verfasst von - 15. Juli 2019 - Aktuell vor Ort, Archiv

Dies ist der dritte Blogbeitrag einer Freiwilligen aus Österreich, die auf Einsatz mit EAPPI ist. Insgesamt bauen fünf Blogbeiträge aufeinander auf. Hier geht’s zu dem ersten Beitrag: In den Hügeln von Ein Ar Rashash: Schutz durch Anwesenheit in der West Bank und zu dem zweiten Beitrag: “Selig, die das Recht bewahren, die Gerechtigkeit üben zu jeder Zeit” (Psalm 106,3).

Mit dem Beginn des muslimischen Fastenmonates Ramadan steigen auch die Temperaturen in Ein Ar Rashash. Die Eltern der BeduinInnenfamilie fasten, ihre ältesten Söhne übernehmen es die Ziegen zu weiden. Ein Hirtentag beginnt für uns nun sehr früh am Morgen. Was uns aber wunderschöne Sonnenaufgänge über den Bergen Jordaniens beschert, die die ganze Landschaft in intensiv rotes Licht tauchen. Zusammen mit Abu Rahed begleiten wir seinen Sohn für mehrere Stunden, bis dieser mit den Ziegen tiefer in eine Schlucht absteigt, in der es unterirdische Quellen zum Tränken der Tiere gibt. Hierin folgen ihnen die SiedlerInnen nicht mehr. Wir kehren mit Abu Rahed ins BeduinInnendorf zurück. Er und seine Frau lassen es sich nicht nehmen uns mit Tee, frischem Brot, selbstgemachtem Käse und geschnittenem Gemüse zu bewirten – obwohl sie selbst fasten.

Letzte Woche begleiteten drei israelische AktivistInnen die BeduinInnenfamilie von Ein Ar Rashash zu ihren Weidegründen. Kurz bevor die Söhne zu den Wasserquellen hinabsteigen wollten, rief Elhanan das Militär. Es erschien kurz nachdem die BeduinInnen ihren Abstieg zu den Quellen begannen und die israelischen AktivistInnen noch vor Ort waren. Die SoldatInnen beriefen sich darauf, dass es sich bei dem Gebiet um einen Militärstützpunkt, um eine „life fire zone“ handelt, und alle die Gegend zu verlassen hätten. Sie gaben den AktivistInnen 10 Minuten Zeit zum BeduinInnendorf zurückzukehren, wenn nicht, würden sie verhaftet. Eine Zeitvorgabe, die unrealistisch ist, der Rückweg zum BeduinInnendorf braucht mindestens 20 Minuten. Zwei AktivistInnen begannen sofort den Rückzug anzutreten. Arik Aschermann, der Rabbi, von dem ich schon in meinem zweiten Beitrag berichtete, ging etwa 100 Meter weiter hinein in das Gebiet, um Abu Rahed und seinen Söhnen Bescheid zu geben (sie befanden sich schon außerhalb der “life fire zone“). Arik wurde direkt von den Soldaten abgeführt. Auf ihrem Weg zu den Fahrzeugen trafen sie auf die anderen AktivistInnen. Ohne eine weitere Begründung wurden auch sie in Gewahrsam genommen. Nach diesem Vorfall wurden keine trainierenden SoldatInnen beobachtet.

Auch Elhanan verließ die Weideflächen und kehrte zu seinem Outpost direkt neben dem Militärcamp zurück (offensichtlich liegt er in keiner gesperrten Zone?), verhaftet wurde er nicht.  Die AktivistInnen wurden von der herbeigerufenen Polizei auf eine nahegelegene Polizeistation gebracht.  Sie verbrachten fünf Stunden in Gewahrsam der Polizei und wurden intensiv verhört. Am Ende wurden sie, unter der Auflage sich in den kommenden zwei Wochen nicht in der Region Ein Ar Rashash aufhalten zu dürfen, frei gelassen.

Elhanan und sein Sohn (zu Pferd) belästigen den 15-jährigen Sohn Abu Raheds (mit Esel) im Juni 2019 (Foto: EAPPI/ privat)

Bei einem der Aktivisten handelt es sich um einen jungen, jüdischen US-amerikanischen Staatsbürger, der als Freiwilliger einer linken jüdischen Organisation die israelischen AktivistInnen von Ta`ayush unterstützt. Bei einem Bier in Jerusalem erzählt er uns die Geschichte der Verhaftung. Nachdem die Polizei mehrere Stunden lang die beiden Israelis verhört hatte, rufen sie schließlich auch ihn in den Verhörraum. Anwesend sind ein Polizeioffizier und ein Shabak (israelischer Inlandsgeheimdienst)-Mitarbeiter. Die beiden diskutieren seinen Fall auf Hebräisch. Was sie nicht wissen ist, dass er recht gut Hebräisch versteht. Sie sprechen darüber, dass sie ihn gerne abschieben würden, da er aber jüdisch sei, müssen sie leider davon Abstand nehmen. Danach wenden sie sich auf Englisch an ihn mit der Drohung, dass sie ihn nicht noch einmal in der Westbank erwischen wollen. Er weiß nicht, ob er nun auf einer Blacklist für Israel steht und es ihm, nachdem er ausgereist ist, nochmal möglich sein wird das Land zu betreten. Das wird er erst herausfinden, wenn er es versucht.

In der Bar sitzend, stellt er uns die Frage, ob wir uns vorstellen könnten, dauerhaft in Israel oder Palästina zu leben. Basierend auf unseren Erfahrungen der letzten Wochen verneinen wir entschieden. Er erklärt, für ihn sei das anders. Als religiöser Jude sei es für ihn immer eine Option gewesen nach Israel zu immigrieren, besonders nachdem es nahe seiner Heimatstadt zu gewalttätigen antisemitischen Ausschreitungen kam. Aber nun sei er sich sehr unsicher, ob er wirklich in einem Land leben wolle, dessen Politik er ablehnt und das im Namen seiner Religion Verbrechen begeht. Andererseits, wenn alle andersdenkenden Israelis und/oder JüdInnen sich von Israel abwenden, was bedeutet das für Israels Zukunft? Vielleicht stellt sich die Frage für ihn aber auch gar nicht mehr, vielleicht hat sein Einsatz für die Rechte der PalästinenserInnen seinen „sicheren Hafen“ in Israel für immer geschlossen.

Maizicklein in Ein Ar Rashash, Mai 2019 (Foto: EAPPI/ privat)

In vielen Fällen lässt sich eine direkte Zusammenarbeit zwischen SiedlerInnen und den israelischen Verteidigungskräften beobachten. Dass Elhanan mit seiner Familie direkt neben einem Militärstützpunkt lebt, ist kein Einzelfall. Viele Siedlungen liegen neben oder sogar in Militärstützpunkten.

Auch die Strategie durch die Sperrung des Landes zu militärischen Zwecken Abu Raheds Familie den Zugang zu ihren Weideflächen zu verbieten, lässt sich überall in der Westbank beobachten. Zwischen 1967 und 2014 wurden insgesamt 10.000 Hektar Land in der Westbank vom Militär beschlagnahmt. Auf 40% aller Gebiete, die für militärische Zwecke gesperrt oder beschlagnahmt wurden, sind im Verlauf der darauffolgenden Jahre illegale Siedlungen entstanden4. 80% aller militärischen Trainingsgebiete in der Westbank werden nie für militärische Trainingszwecke genutzt5.

Zahlen von UNOCHA belegen: für PalästinenserInnen steigt das Risiko Opfer von Gewalttaten der SiedlerInnen oder des Militärs zu werden eklatant, wenn sie in der Nähe einer illegalen Siedlung leben2. Gerhard Horton von der NGO „Military Court Watch“ fasst die Situation sinngemäß folgendermaßen zusammen: kein Staat kann 620,0003 seiner eigenen BürgerInnen erlauben, in den von ihm besetzten Gebieten zu leben und dauerhaft ihre Sicherheit gewährleisten, ohne dass sich die Armee die Hände schmutzig machen muss und gezwungen ist, jegliche Art des Widerstandes der einheimischen Bevölkerung sofort und brutal zu unterdrücken.

Vergleicht man die Zahlen der letzten Opfer von Gewalttaten der jeweils anderen Seite miteinander, zeigt sich, dass die israelischen Verteidigungskräfte einen guten Job machen ihre Bevölkerung zu schützen. Seit Beginn des Jahres 2017 bis heute wurden 534 PalästinnenserInnen von Israelis in der Westbank getötet und 24 israelische StaatsbürgerInnen von PalästinnenserInnen, 11 davon SiedlerInnen sowie 13 SoldatInnen. 14.900 PalästinenserInnen wurden durch den Konflikt verwundet und 238 Israelis (davon 119 SiedlerInnen) 2. Die Aufgabe, die den israelischen Verteidigungskräften in der Siedlungspolitik zukommt, ist es also, zum einen den Widerstand der einheimischen Bevölkerung gegen die unrechtmäßige Besiedlung durch israelische BürgerInnen gewaltsam zu unterdrücken, und zum anderen Bedingungen zu schaffen, die den weiteren Ausbau von illegalen Siedlungen fördern.

Eine Unsicherheit, die für uns nur einige Arbeitstage schwieriger macht, für Abu Rahed und seine Familie aber ein Leben in Unsicherheit und Angst vor dem, was kommen mag, bedeutet. Die BeduinInnen wirken zunehmend müde und verzweifelt. Die Gefahr, zum sechsten Mal seit der Staatsgründung Israels zu Flüchtlingen zu werden, treibt sie um.

Hier geht es zum vierten Teil der Beitragsserie: Die rechte Organisation Im Tirtzu ist zu „Besuch“ in Ein Ar Rashash.

Quellen:

  1. Homepage der IDF
    https://www.idf.il/en
  2. UN OCHA, Zahlen zu Gewaltverbrechen in der West Bank:
    https://www.ochaopt.org/data/casualties
  3. B`tselem, Zahlen zu SiedlerInnen und Settlements in der West Bank
    https://www.btselem.org/topic/settlements
  4. Kerem Navot:„Seize the Moral Low Ground“ – Land seizure for “security needs” in the West Bank
    https://docs.wixstatic.com/ugd/a76eb4_c5e9bfddf49c4d87b30d570722acc728.pdf
  5. Kerem Navot: A locked Garden. Declaration of closed areas in the West Bank https://www.keremnavot.org/a-locked-garden