An einem warmen Frühlingstag im März besuchte ich mit einem Teamkollegen das Dorf Shoshahla, südlich von Bethlehem. Bis auf eine wurden alle Zufahrtsstraßen vom israelischen Militär gesperrt. Doch auch diese wurde gegen Ende zu steil und unwegsam, um mit dem Auto weiterzukommen. Vorbei an Weinreben und Olivenbäumen, die auf Terrassen gepflanzt waren, mussten wir zu Fuß die letzten Meter zurücklegen, bis uns Monder aus der Ferne bereits zu seinem Haus winkte. Jeden Samstag kommt er nach Shoshahla, um sein Land zu bewirtschaften. Um die 200 Menschen besitzen dort noch landwirtschaftlichen Grund, aber nur wenige leben in Shoshahla, wie z. B. Monders Stiefeltern.
Er war das einzige Kind, das den Grund seiner Eltern übernehmen wollte, denn es war ihm wichtig, dass der Landbesitz in der Familie bleibt. Auf einem Plan, der noch aus der Zeit stammte, als das Westjordanland unter jordanischer Herrschaft stand, zeigte uns Monder zwei weitere Grundstücke, die seiner Familie seit Generationen gehören. Eines davon liegt direkt unter der israelischen Siedlung Givat Hatamar. Für jeden Besuch braucht Monder eine Genehmigung vom Sicherheitspersonal der Siedlungen. Seit der neuen israelischen Regierung, die seit Ende Dezember 2022 im Amt ist, sind die Vorgaben dafür strenger geworden: „Wir haben Angst. Wir hoffen auf Veränderung, aber mit dieser neuen Regierung, nein“, erzählte Monder. Bevor die Siedlungen um Shoshahla entstanden, ritten sein Großvater und Vater noch mit dem Esel zwischen den Grundstücken hin und her. Das andere Grundstück liegt ebenfalls unter einer israelischen Siedlung. Vor Jahren verbot ein israelischer Soldat ihnen, einen Teil davon zu betreten. Monders Familie hielt sich an die Vorgaben. Im Herbst 2022 wurden dennoch 100 Olivenbäume der Familie zerstört, obwohl sie sich auf dem noch erlaubten Teil befanden. Darunter waren auch junge Bäume, von denen erst zweimal Oliven geerntet wurden. „Wir hatten immer rund eine Tonne an Oliven, jetzt bin ich mir nicht sicher, ob wir 100 Kilogramm haben werden. Die Ernte der Olivenbäume unterstützt mich, um Essen und Benzin zu bezahlen. Mein Einkommen reicht dafür nicht“.
Auf seinem Grund in Shoshahla besitzt Monder ein kleines Haus. Ein Bad, das er dazubaute, wurde vom Militär wieder abgerissen. Dem ganzen Dorf wird es verweigert, neu zu bauen oder zu renovieren. Shoshahla ist somit dem Verfall ausgesetzt. So auch eine einstige Moschee, die neben dem Haus von Monder’s Stiefeltern stand. Das Dach durfte nicht repariert werden und wo einst Menschen aus dem ganzen Dorf beteten, wachsen mittlerweile Bäume und Sträucher umgeben von Mauerresten.
Ein weiteres Verbot besteht seit 2019, als israelische Soldat:innen alle Haustüren des Dorfes aufbrachen. Die Türen dürfen seither nicht mehr zugesperrt werden, damit sich niemand in den Häusern verstecken kann. Monder führte uns zum obersten Haus des Dorfes. Gleich dahinter befindet sich die israelische Siedlung Neve Daniel mit knapp 2.500 Einwohner:innen. Während wir auf einem kleinen Erdhügel standen, sah ich zu meiner Linken die großen, zweistöckigen Häuser mit roten Dächern und zu meiner Rechten Monders Nachbarn, der vor seinem aus Steinen gemauerten Haus stand. Weitere Steine waren auf dem Wellblech verteilt, um das kaputte Dach festzuhalten. Das Holzgestell vor dem Eingang seines Hauses war noch vorhanden und Monders Nachbar versucht es Stück für Stück zu reparieren, damit weder das israelische Militär noch Siedler:innen davon Wind bekommen.
Auf dem Weg zurück gingen wir am Zaun zur Siedlung entlang. Unter unseren Füßen traten wir auf goldbraune Erde und Steine. Die Straße muss jedes Jahr von Hand repariert werden. Die Verwendung von Maschinen wurde Monder verboten. Auf der anderen Seite des Zaunes führt indes eine asphaltierte Straße und parallel dazu verläuft die Stromleitung der Siedlung. Obwohl sie Zaun an Zaun leben, gibt es keinen Kontakt zwischen den Menschen in Shoshahla und Neve Daniel. Früher gab es noch Beschwerden von den Siedler:innen, sobald sie nachts in Shoshahla Licht bemerkten, woraufhin das Militär regelmäßig ins Dorf kam. Anfang Jänner 2023 wurden die Solarpanels schließlich vom Militär konfisziert, ohne je eine gerichtliche Verordnung auszuhändigen. Seitdem sind auch die Siedler:innen ruhig. Fünf Jahre lang versorgten die Solarpanels alle Häuser mit Strom. Von fünf Familien wurden sie vor Ort zerstört und einem Nachbarn wurde gleich das ganze Haus abgerissen. Der Besitzer war seither nicht mehr dort und hinterließ sein Hab und Gut. Mehrfach wiederholte Monder: „Gott sei Dank haben sie mein Haus nicht zerstört“. Je länger wir dort waren und Monders Geschichten über Verbote, Verfall und Zerstörungen hörten, umso stärker flammte eine Frage in mir hoch, bis ich sie stellte: „Fühlst du keine Wut?“. „Doch“ antwortete er, „aber das ist unser Leben. Was sollen wir machen?“.
Trotz all der Widrigkeiten strahlte Monder Ruhe und Herzlichkeit aus und seine Liebe zum Land wurde deutlich, als er uns verschiedene Bäume, Sträucher und Kräuter zeigte und erklärte. An keinem anderen Ort erschien mir der Kontrast zwischen den israelischen Siedlungen und der palästinensischen Dorfbevölkerung größer als in Shoshahla. Nur wenige Meter trennen die Menschen voneinander und dennoch schienen Welten zwischen den Lebensbedingungen von Monder und seiner Familie und jenen auf der anderen Seite des Zaunes zu liegen.
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Ich bin als Ecumenical Accompanier von der Diakonie ACT Austria, dem Internationalen Versöhnungsbund und Pax Christi Österreich zum Ecumenical Accompaniment Programme in Palestine and Israel (EAPPI) des Weltkirchenrates entsandt. Die hier geteilten Ansichten sind meine persönlichen und spiegeln nicht unbedingt jene meiner Sendeorganisation oder des Weltkirchenrates wider. Möchten Sie die hier enthaltenen Informationen weiter veröffentlichen (inklusive der Veröffentlichung auf einer Website) kontaktieren Sie bitte zuerst eappi@diakonie.at oder EAPPI Communication Officer communications@eappi.org zur Genehmigung. Danke