Mütter in Trauer

Verfasst von - 16. Februar 2023 - Neuigkeiten EAPPI

Die traunernden Frauen

Vor einer Woche besuchten wir die Familie von Yazan, ein 24-jähriger Friseur, der am 1.September erschossen wurde. Eine Gruppe trauernder Frauen empfängt uns. Eine Tante erzählt, dass er zur Hochzeit eines Freundes eingeladen war, dem er vor der Zeremonie die Haare schnitt. Auf der Heimfahrt vom Fest riefen ihn Freunde an und sagten, dass Soldaten in der Gegend unterwegs seien. Er fuhr zurück, um bei seinen Freunden zu sein und laut Augenzeugenberichten wurde er aus einer Distanz von 70 Metern angeschossen. Seine Freunde wollten ihm helfen, aber die Soldaten schossen auf alle, die sich näherten. Nachdem sich die Soldaten zurückgezogen hatten, konnten seine Freunde ihn ins Spital bringen, aber der Arzt konnte nur mehr den Tod feststellen.

Seine Schwester erzählt, wie schön es war, mit ihm zusammenzusitzen und dass sie ihn immer in Erinnerung halten wird. Sie weiß, dass er im Himmel ist. Drei Tage vor seinem Tod erzählte er ihr, dass er von seinem Tod träumte. Er sagte zu ihr: ´Wenn ich sterbe, sagt kein einziges Fest ab´.

Eine der Frauen sagt, dass sie sehr unter dem Tod ihrer Söhne leiden Aber sie verstehen ihre Kinder, wenn sie sich gegen die Unterdrückung wehren. Als Kinder können sie nicht spielen, eine normale Kindheit ist ihnen verwehrt und daher erwarten sie nichts vom Leben.

Die Mutter bittet uns, dass wir gemeinsam ein Gebet sprechen, eine Bitte, der wir sehr gerne nachkommen. Zum Abschied bittet sie uns: ´Erzählt die Wahrheit´

Alaas Eltern

Wie an jedem Samstag, besuchen wir auch heute das Qualandia-Flüchtlingslager. Dieses Lager wurde für palästinensische Flüchtlinge aus Jerusalem, Haifa, Lydd, Ramleh und Hebron vom Roten Kreuz im Jahr 1949 errichtet. Ca. 13.000 Menschen leben hier auf einer Fläche von 353 dunams = ca. 35,3 ha. Israel betrachtet das Gebiet als zu ´Groß-Jerusalem´ gehörig, andererseits aber als C-Areal in der Westbank.

Was heißt Groß-Jerusalem? Israel ´erweiterte´ die Stadtgrenzen willkürlich nach der Besatzung 1967 und im Jahr 1980 erfolgte die völkerrechtswidrige Annexion der Stadt. Man würde meinen, eine Stadtregierung ist verpflichtet, alle öffentlichen Dienstleistungen wie Wasser, Abwasser, Müllentsorgung und öffentliche Verkehrsmittel allen Stadtbewohner:innen im gleichen Ausmaße zukommen zu lassen, nachdem alle Bewohner:innen Jerusalems brav Steuern zahlen müssen. Aber das wird geflissentlich übersehen. Die IDF (Israeli Defense Forces = Israelische Verteidigungsstreitkräfte) sind immer und überall präsent, Müllabfuhr und Busse sucht man jedoch vergeblich.

Heute besuchen wir die Eltern von  Alaa. Er wurde im Frühjahr 2022 getötet, sein Cousin Mohammed vor einigen Wochen. Mohammeds Körper wurde wochenlang von den israelischen Besatzungskräften zurückgehalten.

Alaas Eltern und Geschwister leben in einem alten Haus, an der Decke sind Wasserflecken sichtbar, aber alles ist sauber und ordentlich. Altmodische aber sorgfältig gebürstete Tapeten an der Wand, ein Esstisch mit sauberer Plastikdecke in der Ecke, eine alte aber schöne Sofagarnitur, der Blick ins Schlafzimmer zeigt uns ein aufgeräumtes Zimmer mit straff geglätteter Bettdecke, es ist ein bescheidenes Haus aber man spürt, dass hier jemand am Werk ist, um ein Zuhause zu schaffen, damit sich die Familie wohl fühlt.

Vater Mohammed empfängt uns und sagt, dass er auf seinen Sohn stolz ist. Er war 20 Jahre alt, ein guter Sohn und Mensch, er war Pfadfinder, er liebte sein Land, dafür starb er – Gott brauche das. Der Vater sagt wörtlich: ´wir werden immer hierbleiben, es gibt viele Alaas, wir werden unser Land nicht hergeben´.

Der Vater arbeitete bereits seit 30 Jahren in Israel.  Nach dem Tod des Sohnes wurde seine Arbeitserlaubnis sofort storniert, er verliert auch alle Sozialleistungen, die ihm aus dieser 30-jährigen Arbeitszeit zustehen.

Dann spricht Amal, die Mutter von Alaa. Sie ist ursprünglich aus dem Dorf von Al Lod, das ist eines der zerstörten palästinensischen Dörfer, dort wo jetzt der Ben-Gurion-Flughafen steht. Sie lebt seit 33 Jahren im Camp, hat 5 Kinder, 3 Buben und 2 Mädchen, alle seien brave Kinder, keines bereitet ihr Probleme. Alaa, der jüngste der Kinder, war bei allen Menschen beliebt. Er ging am Morgen des 15. März um ca. 7.00 Uhr zur Arbeit. Ein Freund rief ihn an und sagte, dass Soldaten im Flüchtlingslager seien, er ging hin und wurde angeschossen. Seine Freunde versorgten ihn und wieder ging er dorthin zurück, wo die Konfrontationen stattfanden und da wurde er von einem Scharfschützen erschossen. Genauso wie die Journalistin Shereen Abu Akleh, mit einem Schuss ins Genick. Die Mutter, die zuerst ganz ruhig war, wird immer erregter und beginnt zu weinen. Sie erzählt, dass sie ins Spital fuhr, weil man ihr sagte, ihr Sohn sei verletzt. Dort suchte sie ihn, alles war chaotisch, sie war verzweifelt und konnte ihn nicht finden, bis die anwesenden Menschen ihr sagten, dass er ein Märtyrer sei. Sie erzählt weiter, dass er ihr am Vorabend mitteilte, dass er bald heiraten möchte. Wieder bricht sie in Tränen aus, unsere Begleiterin Fatwa tröstet sie auf liebevolle Art.

Wir fragen den Vater, ob er Angst um seine Familie hat. Er geht auf die Frage nicht ein, sondern sagt, er versteht nicht, warum die Besatzungskräfte seinen Sohn ermordeten. Die Soldaten kamen tagsüber, nicht wie üblich nachts. Wenn etwas gegen Alaa vorläge, hätten sie ihn ohne weiteres festnehmen können. ´ Aber sie schießen, denn schießen ist leichter als festnehmen, denn diese Soldaten haben große Angst´.  Der Vater betont dann nochmals: ´Natürlich stellen sich unsere Jungs den Soldaten gegenüber´.

Die Mutter sagt; dass sie ihre Kinder im Flüchtlingscamp trotz aller Widrigkeiten gut erziehen, sie sagt: ´Wir lehren ihnen die Liebe zum Frieden, aber die israelischen Militärkräfte erlauben das nicht´. Die Bitte der Mutter an uns lautet: ´Bitte erzählt in eurem Land, was Israel mit uns macht. Mein einziger Wunsch ist ein Leben in Frieden und Freiheit´.

Nicht nur die Arbeitserlaubnis des Vaters wurde storniert, sondern auch die der Brüder, welche in Jerusalem arbeiteten. Nach 5 Monaten erhielten einige die Erlaubnis zurück, aber nach 2 Wochen wurden sie wieder storniert. Der Schwester wurde ein Spitalbesuch in Jerusalem verboten.

Die Familie verlor einen Sohn, sie verloren die Einkünfte, der Vater verlor alle Sozialansprüche aus seiner 30-jährigen Arbeitszeit in Israel. Alaa arbeitete in Ramallah und sein ehemaliger Arbeitgeber habe der Familie die Abfertigung von Alaa ausgezahlt, ganz im Gegenteil zu den Israelis. Mutter Amal sagt, dass sie im Moment auf die Nachbarschaftshilfe angewiesen seien und diese ist im Flüchtlingslager wunderbar.

Die Mutter bedankt sich dafür, dass wir ihre Geschichte verbreiten. Sie ist sehr traurig, aber ein Lächeln erscheint auf ihrem Gesicht, als sie uns erzählt, dass nächstes Jahr ein Sohn heiraten wird. Unsere Übersetzerin erklärt uns, dass für die Menschen hier Trauer und Freude Hand in Hand gehen, dass trotz allen Leides nicht auf Freude und die Fortsetzung des Lebens vergessen wird.

Amal bringt dann Saft, Obst, Süßigkeiten, alles wunderbar präsentiert und sie lädt uns ein, in einigen Wochen zum Mittagessen zu kommen.

Checkpoint 300

Abbildung 3/Bethlehem Checkpoint 300_ Foto EAPPI_EA

Frühmorgens am Bethlehem Checkpoint. Wie immer fragen wir die Menschen, denen der Zugang am Freitag zum Beten in der Al Aqsa Moschee in Jerusalem verweigert wird, um den Grund.

Eine ältere Frau mit sehr schönen Gesichtszügen kommt resolut auf uns zu und erzählt stolz, dass sie abgewiesen wurde, weil sie ´Umm Shahid´ ( = Mutter eines Märtyrers ) ist. Sie ist 70 Jahre alt, als ich ihr sage, dass ich auch 70 bin, ist das Eis gebrochen und wir verstehen uns. Vier ihrer Söhne sind im Gefängnis, einer wurde ermordet. Sie erklärt uns, dass ein Märtyrer ein Zeuge ist, für sein Land und für seinen Glauben. Zum Abschied umarmt mich diese starke und selbstbewusste Frau herzlich, bevor sie ihre Rückreise nach Hebron antritt.

Bitte beachten:

Ich bin als Ecumenical Accompanier von der Diakonie ACT Austria, dem Internationalen Versöhnungsbund und Pax Christi Österreich zum Ecumenical Accompaniment Programme in Palestine and Israel (EAPPI) des Weltkirchenrates entsandt. Die hier geteilten Ansichten sind meine persönlichen und spiegeln nicht unbedingt jene meiner Sendeorganisation oder des Weltkirchenrates wider. Möchten Sie die hier enthaltenen Informationen weiter veröffentlichen (inklusive der Veröffentlichung auf einer Website) kontaktieren Sie bitte zuerst eappi@diakonie.at oder EAPPI Communication Officer communications@eappi.org zur Genehmigung. Danke