Gewalt zeigt sich In Palästina in unterschiedlichen Formen, auf
verschiedenen Ebenen, mit sich verändernden Gesichtern. Sie zeigt sich sehr
direkt: anhand des bewaffneten Militärs, anhand von Zwangsumsiedelungen oder
Hauszerstörungen. Auf eine andere Weise, unklarer, unscheinbarer, schwieriger
zu verstehen, zeigen sich indirekte Formen der Gewalt. Eine dieser indirekten
Formen der Gewalt zeigt sich, wenn es um das Ringen um Wasser geht.
Der Wert des Wassers wird dort offenkundig, wo Menschen nicht genug haben. Für
viele Menschen im Jordantal ist es das Streben nach Leben und die Bedingung zu
überleben.
Es ist Anfang Juni, das Land ist gelb geworden. Das Grün der Felder ist beinahe vollständig verschwunden, nur vereinzelt sieht man grüne Flächen im sonst verdorrten Land – es sind die Felder der israelischen SiedlerInnen, die sich im Jordantal niedergelassen haben. Würde man nicht wissen, was die Dürre für die Menschen bedeutet, man würde nicht zögern, von der Schönheit des Anblicks zu sprechen. Das sanfte Gelb, wie es sich über die Hügel erstreckt, die strahlende Sonne darauf, die Häuser aus hellem Sandstein, all das wirkt wie ein fantastisches Zusammenspiel von Licht und Farbe. Im Jordantal verweist das Gelb der Felder jedoch auf etwas anderes. Nicht nur auf die sengende Hitze – bereits im Mai steigen die Temperaturen auf über 40 Grad – auch auf den Durst, auch auf das Fehlen von Wasser: Wasser für die Felder, Wasser für die Tiere der Bauern und Schäfer, Wasser für die Menschen selbst.
„Wasser ist Leben.
Wasser ist kostbarer als Gold.“
Kaum ein Tag vergeht, kaum ein Gespräch mit einem lokalen Bauern vergeht, ohne
dass die Wasserproblematik Erwähnung findet. Dabei ist es nicht so, dass es
kein Wasser gäbe im Jordantal. Im Gegenteil, das Gebiet, das sich über 2400 km²
erstreckt und beinahe 30% der gesamten West Bank umfasst, war lange Zeit
bekannt als der Brotkorb Palästinas. Wasser gibt es genug. Die Problematik
liegt für die Palästinenser im Zugang zum Wasser, im verweigerten Zugang.
Für eine außenstehende Person ist es nicht einfach nachzuvollziehen, wie es dazu kommen konnte, dass Menschen der Zugang zu ihrem eigenen Wasser verwehrt werden kann. Ein Aspekt der Problematik verweist auf die Unterteilung der West Bank in drei Gebiete – Area A, Area B und Area C. Der größte Teil des Jordantals – in etwa 87% – sind Teil der Area C. Area C bedeutet, dass das Gebiet unter vollständiger israelischer Militärkontrolle steht. Die Setzung und Durchsetzung des Rechts, Planungs- und Bauvorhaben liegen damit ebenso in israelischer Hand.[1] In Folge der in den 1990er Jahren durchgeführten Unterteilung kam es auch dazu, dass heute jegliche Wasserquellen, die in Area C zu finden sind, ausschließlich unter israelischer Kontrolle stehen. Was das zur Folge hat bzw. wie sich das für die Menschen vor Ort auswirkt, bringt ein palästinensischer Bauer zum Ausdruck, der über seine Situation spricht:
„Meine Familie lebt seit Generationen auf diesem Land und hier gibt es auch eine Wasserleitung. Aber wenn wir die Leitung nutzen, kommen wir ins Gefängnis. Ich habe Papiere, die zeigen, dass das Land uns gehört. Und trotzdem ist es für uns Palästinenser unmöglich eine Genehmigung zu erhalten, um das Wasser zu nutzen. Meine Kinder dursten und meine Pflanzen sterben. Das ist kein Leben. Das kann kein würdiges Leben sein.“
Der Bauer möchte anonym bleiben. Das ist keine Seltenheit, zu groß ist die Angst zusätzliche Schwierigkeiten zu bekommen. Doch auch seine Erfahrungen, seine Geschichte, sein Leid, ist keine Seltenheit.
Nach Angaben der Vereinten Nationen kam es in der West Bank allein zwischen Jänner und März diesen Jahres zu 136 Zerstörungen von Wasserleitungen, Brunnen, Pumpstationen oder anderen Einrichtungen, die den direkten Zugang zum Wasser gewährleisten können. In etwa 25 000 Menschen, so die Zahlen der Vereinten Nationen, waren in diesen drei Monaten davon betroffen.[2]
Für die Vereinten
Nationen sowie für internationale BeobachterInnen ist es klar, dass das israelische
Vorgehen den Vorgaben des Internationalen Rechts nicht entspricht. Die Menschen
im Jordantal wissen das, auch ohne die Rechtsbücher der Internationalen Gemeinschaft
gelesen zu haben. Viele von ihnen erfahren jeden Tag, was es bedeutet nicht
genügend Wasser zu haben – am eigenen Leib. Und doch bleibt es nicht beim
bloßen Wunsch zu trinken. Der Durst nach Wasser ist hier ein Begehren und ein
Aufbegehren: ein Begehren nach Land, ein Begehren nach Freiheit, ein Begehren
um zu leben.
[1] https://www.ochaopt.org/location/area-c
[2] https://www.ochaopt.org/content/demolitions-west-bank-undermine-access-water