Gefangen im eigenen Land

Verfasst von - 25. Januar 2019 - Aktuell vor Ort, Archiv

Es ist Sonntagmorgen um 3.00 Uhr früh in Hebron. Es ist kalt und dunkel und der Sonnenaufgang lässt sich nur erahnen. Wir gießen uns kaltes Wasser über das Gesicht, kippen einen halben Becher Kaffee runter und werfen uns in unsere EAPPI-Westen. Vor dem Haus wartet schon unser Taxi.  „Sabah al khair“ (Guten Morgen), werden wir begrüßt. Verschlafen antworten wir „Sabah an nur“ (Antwort Guten Morgen). Es ist Wochenbeginn in Palästina und wir sind auf dem Weg zum Checkpoint Tarqumia westlich von Hebron. Unsere heutige Aufgabe heißt: Monitoring.  Wären wir zu Hause in Österreich, würden wir am Sonntagmorgen vielleicht ausschlafen und gemütlich brunchen. Für die Menschen hier ist Sonntag der erste Tag der Arbeitswoche.  Um pünktlich in der Arbeit zu erscheinen, müssen viele PalästinenserInnen um diese Zeit schon am Checkpoint stehen.

Etwa zwei Stunden später, gegen 5 Uhr früh ist der Checkpoint überfüllt und wir beobachten, wie Menschen hinter Gitterstäben versuchen, sich weiter nach vorne zu bewegen. Normalerweise stehen wir am Eingang zum Checkpoint, um jene Männer abzufangen, denen der Eintritt verweigert wurde. Wir haben ein Papier dabei, mit einer Liste von Möglichkeiten, weshalb der Eintritt verweigert werden darf. Die Vorderseite ist auf Arabisch, die Rückseite auf Englisch. Heute sind so viele Menschen hier, dass es unmöglich ist, die Leute abzufangen. Es ist ein reines Gedränge und der Falafel-Stand vor dem Checkpoint,  an dem wir uns am Nachhauseweg normalerweise unser Frühstück mitnehmen, ist in der Menschenmasse verschwunden.

Wir stehen somit an der Seite des Checkpoints und beobachten. Der Checkpoint wird immer wieder geschlossen – wahrscheinlich aufgrund der hohen Anzahl von Menschen. Die Männer hinter den Gitterstäben, die sich wie Tiere eingepfercht in einem Käfig nicht vor und zurück bewegen können, schauen uns an. Die Rolle der Beobachterin fühlt sich in diesem Moment nicht gut an. Ich komme in dieses Land und kann hingehen, wohin ich möchte, während  die Menschen, die seit Generationen hier leben, sich in ihrem eigenen Land nicht frei bewegen können. Mir werden die Privilegien bewusst, die mir zukommen, weil ich zufällig an einem anderen Ort dieser Erde geboren wurde und in meinem Pass ein anderes Land abgedruckt ist. Gegen sechs Uhr früh ist es Zeit für uns zu gehen. Die Menschenmasse ist nur minimal kleiner geworden und wir drängen uns an das andere Ende des Platzes. Es fühlt sich ungut an in dieser Situation in der Rolle des Beobachters zu sein.

Ich bin hungrig und bleibe an einem Essensstand vor dem Parkplatz stehen. Ein junger Mann neben mir fragt mich, ob ich auch etwas essen möchte. Ich antworte ja. Bevor ich es realisiere, habe ich ein warmes Falafel-Sandwich in meinen Händen und der junge Mann hat für mich bezahlt. Noch bevor ich „Shukran“ (Danke) sagen und ihm das Geld geben kann, ist der Mann in der Menschenmenge verschwunden…