Unterwegs für Menschenrechte

Verfasst von - 18. Oktober 2017 - Archiv

Alle 3 Monate kommen Freiwillige aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt nach Palästina, um im Rahmen von „EAPPI“- (Ecumenical Accompaniment Programme in Palestine and Israel) gefährdete Gruppen zu begleiten und Menschenrechtsverletzungen weiterzuleiten. EAPPI ist ein Programm des Ökumenischen Rates der Kirchen und unterstützt gewaltfreie Beziehungen der Palästinenser und Israelis für einen gerechten Frieden. Christl Finkenstedt hat im letzten Sommer, unterwegs mit EAPPI in der besetzten Westbank, viele unerwartete Eindrücke gesammelt.

„Morning walk“ – heißt die erste unserer EAPPI Pflichten jeden Tag – ein Morgenspaziergang entlang den Talwegen in einer besonderen Landschaft – vorbei an generationenalten Olivenbäumen auf kargen, steinigen Böden. Wir umrunden, kenntlich gemacht durch eine EAPPI bedruckte Weste, Yanoun, das kleine Dorf, in dem unser 3-köpfiges Team gelandet ist, um den Siedlern oben auf den Hügelkuppen und den Militärpatrouillen unten im Tal zu zeigen, dass wir da sind und ihre Übergriffe auf die Bewohner beobachten und an internationale Organisationen weiterleiten. Auf den Hügeln rund um das Dorf sind die israelischen Siedlungen, illegal nach internationalem Recht, in den letzten 30 Jahren bedrohlich gewachsen, haben sich ihre Bewohner immer mehr Land von palästinensischen Bauern angeeignet, die Bevölkerung mit brutalen Übergriffen schikaniert, Schafe getötet, Getreide auf den Feldern verbrannt, den Dorfgenerator zerstört und die Quelle verunreinigt, auch noch einen alten Mann umgebracht, der arglos dabei war, seine Oliven auseinander zu klauben. Als dann 2002 bewaffnete Siedler (die im Gegensatz zu den Palästinensern offene Feuerwaffen tragen dürfen) den Dorfbewohnern erklärten, jeden zu töten, der am nächsten Wochenende noch im Dorf sei, verließen die Menschen Yanoun. Es war das erste mal, dass ein ganzes Dorf von israelischen Siedlern vertrieben wurde.

Seit 2003 bieten ständige internationale BeobachterInnen den Familien Schutz und Unterstützung für die Rückkehr. Ca.100 PalästinenserInnen leben inzwischen wieder dort, freundlich, unaufgeregt, von ihrer Landwirtschaft mit Ziegen, Schafen, Hühnern, Bienen und nicht zuletzt von den Früchten ihrer knorrigen Olivenbäume – noch nie habe ich so samtige, fruchtige Oliven genossen wie dort. Jede neue Gruppe von EAPPIs wird hier sehr herzlich aufgenommen, lang ist die Liste der kleinen Gaben, die man uns zusteckt, wenn wir bei den einfachen Häusern vorbeikommen: selbstgemachten Käse, Honig, das wunderbare im Holzofen täglich frisch gebackene Brot, einen Eintopf mit Hühnerfleisch, ich komme mir manchmal richtig lächerlich vor
mit meinen Luftballons und den Farbstiften für die Kinder.

Settlements, Siedler, wann immer Palästinenser deren letzte Attacken beschreiben, wird das Gespräch hitzig, es bedeutet: noch mehr Land konfisziert, eine Straße gesperrt, Wasser abgezweigt, ausgebrannte Autos, nächtlich zerschossene Fensterscheiben, Tränengas und Gummigeschosse ganz ohne ersichtlichen Grund. Eine Siedlung kann alles sein, von ein paar klapprigen Hütten bis zu Städten mit bis zu 60.000 Einwohnern und dem Anspruch auf Kontrolle der landwirtschaftlichen Flächen rundherum, die außerdem „aus Gründen der Sicherheit“ beliebig vergrößert und verschoben und daher von den Besitzern nicht mehr genutzt werden können. Ein Bauer, der zu seinem Feld kommt, steht also plötzlich vor einem Zaun und wird von Soldaten in einer Sprache, die er nicht versteht, aufgefordert umzudrehen, keine Schwierigkeiten zu machen, wenn er nicht vor Gericht kommen oder erschossen werden will.

Wobei klar zu sagen ist, dass nicht alle Siedler gewalttätig oder übergriffig sind – vermutlich 80% von ihnen sind das, was wir heute in anderem Zusammenhang „Wirtschaftsflüchtlinge“ nennen – für sie ist es einfach günstiger in einem Settlement zu leben, wo die israelische Regierung neben billigem Wohnraum noch steuerliche Vorteile anbietet. Mehr als 600.000 Siedler leben zur Zeit in der Westbank. Sie verkörpern ein wesentliches Hindernis für die immer wieder zitierte Zwei-Staatenlösung als Ende des israelisch – palästinensischen Konflikts. Die ganze Westbank ist unter israelischer militärischer Kontrolle. Ich habe noch nirgends so viele bewaffnete SoldatInnen herumstehen oder auch lungern gesehen wie dort. Drei Jahre dauert der Präsenzdienst für junge Männer in Israel, zwei für Frauen. Die meisten von ihnen wachsen auf mit der Überzeugung, Palästina sei das Land, das ihnen zusteht für die langen Jahre geschichtlicher Verfolgung und auf Grund eines biblischen Versprechens. Sie fühlen sich im Recht, sie haben es nie anders gehört.

Die Westbank ist in drei unterschiedliche Verwaltungszonen aufgeteilt, den Übergang von einer Zone zur anderen kontrollieren SoldatInnen an Checkpoints, die oft beliebig „aus Gründen der Sicherheit“ aufgebaut oder wieder entfernt werden. Für manche dieser Sperren braucht es nur eine ID- Karte, für andere ganz spezielle Dokumente, daher bieten sie ein breites Feld an Möglichkeiten für die Kontrolleure, Menschen aufzuhalten, zurückzuschicken oder gar nicht erst durchzulassen, bis zur Leibesvisitation von Schulkindern kann diese Kontrolle gehen. Darf man, ich, verstehen, dass viele solcher Demütigungen Aggressionen hervorrufen, die in tödliche Anschläge auf die andere Seite münden, was wiederum dort Angst und Wut auslöst und damit die Repression verstärkt, so dass sich die Spirale immer weiterdreht? Aber: Verständnis löst die Schuld nicht auf und Gewalt ist keine Lösung.

„Ja“ strahlt mich die 12 jährig Hala an, die ich auf dem Schulweg begleite „ wir werden sehr gedemütigt, aber wir geben nicht auf, irgendwann werden wir Frieden haben.“ Hala wird bis dahin wahrscheinlich erwachsen sein, vielleicht sogar Mitglied einer jener Organisationen, in denen Israelis und Palästinenser gemeinsam nach Lösungen suchen. Zurückgekehrt nach Tirol. Die meisten meiner FreundInnen sind äußerst betroffen, wenn ich von Palästina erzähle, Informationen über den mittlerweile 50-jährigen Konflikt sind bei uns spärlich und oft verwirrend. Ich war in der Westbank und habe daher nur die eine Seite davon gesehen. Die Angst auf der anderen Seite vor Messerattacken und Selbstmordanschlägen kann ich nur erahnen.

Dieser Beitrag ist zuerst in der 20er Zeitung erschienen.