Bittstellerinnen im eigenen Land

Verfasst von - 21. Juni 2016 - Archiv

Drei Mal pro Woche ist es die Aufgabe unseres Teams den Qalandia Checkpoint zu beobachten, und zwar jenen Teil der für FußgängerInnen vorgesehen ist. Der Qalandia Checkpoint zählt zu den größten Checkpoints in der besetzten Westbank und ist der wichtigste Checkpoint zwischen der nördlichen Westbank und Jerusalem bzw. Israel. Nach Angaben der israelischen NGO „B`Tselem“ sind die meisten PalästinenserInnen, die diesen Checkpoint benutzen, EinwohnerInnen von Jerusalem mit israelischer ID, die sich jedoch auf der „falschen“ Seite der Mauer befinden. Laut Gutachten des Internationalen Gerichtshofes verstößt diese Barriere gegen Völkerrecht, da sie zum größten Teil nicht entlang der „Grünen Linie“ verläuft, sondern auf dem Gebiet der Westbank.

Um also andere Gegenden Jerusalems zwecks Arbeit, Schule oder Arztbesuch zu erreichen, müssen sie diesen Checkpoint benutzen. Personen ohne israelische ID dürfen nur mit einer Spezialerlaubnis den Checkpoint durchqueren. Für gewöhnlich handelt es sich dabei um Personen, die eine Arbeitserlaubnis für Israel haben oder die Krankenhäuser in Israel benutzen müssen, wenn es für sie keine adäquate Behandlungsmöglichkeit in der besetzten Westbank gibt. Am Freitag wird es außerdem Männern über 55 und Frauen über 45 ohne Spezialerlaubnis gestattet zwecks des Freitagsgebetes in der Al-Aqsa Moschee durchzugehen.

Girl at Qalandia Checkpoint, Photo: Ana C.

Girl at Qalandia Checkpoint, Photo: EAPPI

Während ein EA im Ausgangsbereich steht und zählt, wie viele Männer, Frauen und Kinder durchgekommen sind – diese Daten werden im Anschluss an internationale Organisationen weitergeleitet – , befindet sich die andere Person im Eingangsbereich des Checkpoints und überschaut dort die Situation. Es wird kontrolliert, ob der „humanitäre Gang“ geöffnet ist. Dieser soll für Kinder, Frauen, Kranke, ältere Menschen und für all jene, die Schwierigkeiten haben könnten, sich an den normalen Gängen anzustellen, da sein. Das ist jedoch nur theoretisch der Fall. In den Tagen die wir beobachteten, durften nur Kranke und Personen mit Handicap diesen breiten Gang passieren. Wir zählen, wie viele Personen zurückgewiesen wurden und versuchen mittels Fragebogen herauszufinden weshalb.

Während man unter der Woche in den Morgenstunden fast nur Männer antrifft, die sich auf dem Weg zur Arbeit befinden, sind es am Freitag ältere Frauen und Männer, die zum Freitagsgebet in die Al-Aqsa Moschee in Jerusalem ziehen. Die durchschnittliche Wartezeit an einem Freitagvormittag beträgt eine Stunde. Angestanden wird im Anfangsbereich in drei schmalen, käfigartigen Gängen. Kinder, Frauen, Alte, alle zwängen sich dort hinein. An dessen jeweiligem Ende befinden sich Drehkreuze, die ins Innere des Checkpoints führen. Es folgen fünf Terminals, wiederum Drehkreuze, danach Metalldetektoren und Förderbänder für das Scannen des Gepäcks, und endlich findet man sich bei der eigentlichen Passkontrolle wieder. Dort erwartet einen hinter Glas – im besten Fall – fadisierend dreinschauende junge Soldaten und Soldatinnen, und – im schlechtesten Fall – unfreundliche, schreiende. Aus den Lautsprechern donnern unentwegt Anweisungen an die Wartenden.

Qalandia Checkpoint, Ana Camba

Qalandia Checkpoint, Photo: EAPPI

Letzten Freitag war es besonders schlimm. Es war mein zweites Mal in der Eintrittsseite des Checkpoints. Es waren viele Frauen anwesend und so wurde einer der drei käfigartigen Gänge ausschließlich von Frauen benutzt. Um 10 Uhr stellte ich mich in der Schlange bei den Frauen an. Heraus kam ich um 11:30. Es war eine schockierende Erfahrung für mich. Es herrschte totales Chaos in den Schlangen. Frauen schrien einander an, man wurde ständig mit den Ellbogen geboxt und weiter nach vorne gedrückt. An der Stelle, wo man in den käfigartigen schmalen Gang eintritt, war es besonders schlimm. Es bildete sich eine große Traube um diesen schmalen Eintritt herum und jeder versuchte sich den Weg dorthin durchzuboxen. „You have to push, otherwise you will not come in“, schrie mir eine Frau zu. Frauen stritten miteinander. Dennoch, immer wieder sah man auch lachende Frauen, die versuchten sich durch Humor und Witze abzulenken. Eine Frau sah wohl meine Verzweiflung, sah meine kleinen Tränen und nahm sich meiner an. Sie legte ihren Arm um meine Schultern und boxte mir den Weg frei für die restliche Stunde im Checkpoint. Lachend sagte sie: “We are beggars in our own country!“.