Israelische Siedler in Palästina haben verschiedene Formen der Landbeanspruchung entwickelt:
-
sie bebauen es einfach
-
sie bearbeiten es
-
sie ernten, was sie nicht gesät haben
-
sie zäunen es ein
-
sie erklären es als Naturpark oder archäologisches Gelände
-
sie halten dort religiöse Zeremonien ab, wie in Birin…
Morgens um 6 Uhr hiess es heute „auf nach Birin“! Birin ist ein ganz besonderer Ort in der Nähe von Yatta, aber in Area C, d.h. in dem Gebiet, in dem Israel die Oberhoheit über zivile und militärische Angelegenheiten hat, also über alles (Area C ist mehr als 60% der Westbank, die ja eigentlich, zusammen mit Gaza, der palästinensische Staat werden sollte, laut den Abkommen von Oslo 1993/1994).
Birin, zwischen Hebron und Yatta, liegt wie viele palästinensische Dörfer auf einem Hügel; hier wurden vor einigen Jahren zwei Israelis von der IDF (Israeli Defense Forces = israelische Armee) versehentlich getötet. Man hatte sie für Palästinenser gehalten … Wenn man im Internet Details über diesen ‚Zwischenfall‘ sucht, wird man nicht fündig. Israelische Siedler aus der Umgebung haben dort ein kleines Denkmal errichtet. Jeden Freitag morgen vor Sonnenaufgang fahren ein paar Männer auf die Anhöhe, mindestens zehn müssen es laut der Tora sein, um gemeinsam zu beten. Einige von ihnen sind bewaffnet, Siedler dürfen immer Waffen tragen, ja man ermutigt sie sogar dazu.
Ein paar palästinensische Familien wohnen auch dort in diesen Hügeln; sie bebauen das Land und kümmern sich um ihre Olivenhaine, halten ein paar Schafe und Ziegen. Gelegentlich werden ihnen von den Siedlern die Fenster zerstört, die Solarpanels, die Weidezäune oder sie werden böse angepöbelt. Deshalb sind wir hier: in unserer Anwesenheit verringern sich die Chancen, dass so etwas passiert – „protective presence“ nennen wir diese Aufgabe.
Im unbeheizten Auto, in dem ich unserem Fahrer und mit meinen Kollegen Dag und Gordon sitze, wird über das Wetter gesprochen (auch an diesem Morgen kalt und windig) und die unchristliche Tageszeit. Abed meint: “Was stellen die sich vor?! Gott sitzt da und wartet auf sie im Sonnenaufgang?!?” Schwer vermummt steigen wir nach einer knappen halben Stunde Fahrt aus dem Auto, und als der Fahrer sich kurz verabschiedet, meint er mit seinem Galgenhumor: “Die Isaelis sind verrückt, in solch einer Kälte draussen zu beten!” Bald positionieren wir uns, ziemlich weit entfernt von dem sogenannten Denkmal, um niemanden zu provozieren, aber im Windschatten, sonst würden wir es nicht aushalten. Eine mitfühlende Palästinenserin kommt aus dem nahegelegenen Haus, in das sich auch Abed geflüchtet hat, bringt uns Fladenbrot und süssen Tee – ein Genuss!
Von weitem sehen wir, dass ungefähr sechs Autos in der Nähe des Denkmals parken, in jedem Auto sitzen mehrere Männer, die langsam herauskommen, einige mit dem Shalit für das Gebet. Wir hören sie weder singen noch beten, wahrscheinlich wegen des Windes. Nun stehen wir drei frierend auf unserem Hügel, sehen im Osten gegenüber die Sonne aufgehen über der kargen Landschaft – das zartrosafarbene Licht breitet sich langsam aus. Unten im Wadi pflügt ein palästinensischer Bauer mit seinem Esel sorgfältig ein kleines Feld. Es sieht alles so friedlich aus, und dennoch ist da diese Spannung: werden die Männer nach dem Gebet herüberkommen und die DorfbewohnerInnen anpöbeln oder irgendwelche Zerstörungen anrichten? Sie haben uns bemerkt, denn wir werden mit dem Fernglas (oder Teleobjektiv) beobachtet.
Doch nach einer guten Stunde fahren sie langsam wieder fort, nichts ist geschehen, worüber wir nicht unglücklich sind.
Wir bringen die Teegläser zurück, bedanken uns für die Gastfreundschaft und steigen wieder ins Auto mit unserem Fahrer. Gegen 8.30 Uhr sind wir wieder zu Hause, bereiten uns ein gutes Frühstück, dankbar für den Komfort der summenden Gasheizung, den warmen Tee und das freundliche Miteinander.