Das Dorf, das seit 30 Jahren keines sein darf #2

Verfasst von - 26. Juni 2015 - Archiv

Vertreibung von 340 Personen von ihrem Land jeden Tag möglich.  Am 5. Mai dieses Jahres hat das oberste israelische Gericht einen Antrag der 55 Familien des palästinensichen Dorfes Susiya im Süden der Westbank abgelehnt. Das bedeutet, dass die seit drei Jahren angedrohte Zerstörung aller 170 Bauten des Dorfes wahr gemacht werden kann. Schon zwei Mal hat die Ziviladministration der israelischen Armee in Susiya Aufnahmen gemacht. Erfahrungsgemäss ein untrügliches Zeichen für ein bevorstehendes baldiges Auffahren der Buldozzer. Damit würden dann 340 Einwohner und Einwohnerinnen, davon 120 Kinder, mit Gewalt vertrieben. (Siehe dazu auch: https://mpsblognews.wordpress.com/2015/05/20/das-dorf-das-seit-30-jahren-keines-sein-darf/ )

Olivenhaine, Bienenkörbe: Vielfältige Landwirtschaft

Olivenhaine, Bienenkörbe: Vielfältige Landwirtschaft ©Marcus/EAPPI/2015

UNO-Office liefert Fakten: In der Westbank gibt es keine richtigen Landkarten, und Strassenschilder zeigen häufig nur israelische Siedlungen, aber keine palästinensischen Orte. Da ist nun das UNO-Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) in die Bresche gesprungen. OCHA liefert die Karten und Zahlen, dank derer die NGOs ihrer Arbeit nachgehen können. Die neueste Karte zeigt die Lage von Susiya zwischen Siedlungen, Synagoge (historisch) und Soldaten. Sie ist in English, aber leicht verständlich. Man sieht darauf auch den Ort nahe der acht Kilometer entfernten Stadt Yatta, an den die Gemeindemitglieder umgesiedelt werden sollen.

Susiya (grün) mit einer Ausdehnung von fast zwei KM ist zwischen Settlement und ausgegrabener  Synagoge (beide in rot-violett) eingeklemmt. Am vorgeschlagenen Umsiedlungsort (relocation sites) gibt es nicht annähernd Weidegrund und Ackerland für eine ausreichende Lebensgrundlage

Susiya (grün) mit einer Ausdehnung von fast zwei km ist zwischen israelischer Siedlung (settlement) und ausgegrabener Synagoge (beide in rot-violett) eingeklemmt. Am vorgeschlagenen Umsiedlungsort (relocation site) gibt es nicht annähernd genug Weidegrund und Ackerland für eine ausreichende Lebensgrundlage.

Für das Beobachter-Programm EAPPI des World Council of Churches ist Susiya inzwischen Arbeitsort eines eigenen Sommerteams, das mit 24-Stunden-Präsenz die Zeit bis zum 3. August überbrücken soll. Dann ist der nächste Termin vor Gericht. Die Leute von Susiya haben nämlich einen Masterplan erarbeitet, der dem Ort eine Entwicklung mit soliden Häusern und Anschluss ans Wasser- und Elektrizitätsnetz ermöglichen würde. Das Gericht wird über diesen Antrag entscheiden. Die kommenden sechs Wochen sind deshalb von entscheidender Bedeutung, weil die israelische Armee mit dem Mai-Urteil ja bereits eine Lizenz zum Zerstören des Dorfes in Händen hält.

Vielerlei Nutztiere kreuchen und fleuchen  in Susiya

Vielerlei Nutztiere kreuchen und fleuchen in Susiya ©Marcus/EAPPI/2015

Die neuen Eckdaten von UN-OCHA: In Susiya leben 55 Familien. 170 Bauten haben Abrissbescheide, das sind 32 Wohnzelte, 26 Ställe, 20 Zisternen, 20 WCs, die Schule mit sieben Klassenzimmern, ein Kindergarten und zwei medizinische Behandlungsräume.

Israelische Siedler-Gewalt: Wegen andauernder Attacken und Einschüchterungen können Susiyas Bauern und Hirten 2000 Dunum (1 Dunum =1000 m²) ihres Landes nicht oder nur reduziert bewirtschaften. Das entspricht zwei Drittel der Fläche im Besitz der Dorffamilien.

Immer ein Soldat im Wachtturm gegenüber von Susiya

Immer ein Soldat im Wachtturm gegenüber von Susiya ©Marcus/EAPPI/2015

Baumvandalen: Allein 2014 wurden 800 Olivenbäume, junge und alte, im Besitz des palästinensischen Susiyas, ziemlich sicher von Siedler beschädigt oder zerstört. Zum letzten Mal übrigens vergangenen Samstag, wie wir Beobachter vor Ort feststellen mussten.

Teures Wasser: In Susiya geht viel Geld drauf für Wasser. Da kein Anschluss ans öffentliche Wassernetz toleriert wird, gibt die Bevölkerung bis zu einem Drittel des Einkommens für Tankwasser aus: 25 Shekel (ca. sechs Franken) pro Kubikmeter. Oder fünf Mal mehr als die daneben wohnenden Siedlerfamilien mit Wasseranschluss bezahlen.

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Teenager tragen Grün und Rot wie in der palästinensischen Flagge ©Marcus/EAPPI/2015

Susiyas Zaubertrank: Immer, wenn wir nach Susiya runterfahren, muss ich an Asterix und Obelix denken, die in einem kleinen (fiktiven) Dorf in Gallien leben, dem einzigen Dorf, das der übermächtigen römischen Armee widerstehen kann. Den Susiyanern und Susiyanerinnen kommt kein Zaubertrank zur Hilfe. Dafür haben sie Sumud (arabisch für Durchhaltevermögen) und machen nach jeder Niederlage wieder zwei Schritte vorwärts. Oder wie es Pedro von der italienischen NGO Operazione Colomba ausdrückt: „Wenn ihnen eine Türe zugeht, machen sie zwei neue auf!“ Susiya ist inzwischen das Symbol für den Widerstand gegen die Willkür der israelischen Besatzungsmacht.

Neue Fahnen für neuen Widerstand

Neue Fahnen für neuen Widerstand ©Marcus/EAPPI/2015

Marcus, South Hebron Hills, 23. Juni 2015

Alle Zahlen von ochaopt.org.