Gewalt gegen Kinder in der Westbank ist unerträglich. Und jeder einzelne Vorfall aus Medienberichten ist unerträglich.
Das palästinensische Mädchen Rasha, 8, aus Khirbet Al-Kharoubi wird am 25. April 2014 von Siedlern des berüchtigten Aussenpostens Havet Ma’on schwer am Kopf verletzt.
Der 10jährige Adam wird am 25. September 2014 in Silwan absichtlich von einem gepanzerten Siedlerfahrzeug angefahren.
Am gleichen Tag versuchen Siedler den 10jährigen Muhammad in Ras al-Amud zu entführen.
Amir, 10, wird am 31. Dezember 2014 mitten im palästinensischen Dorf Tuqu bei Bethlehem auf der Hauptstrasse vom Auto eines Siedlers angefahren.
Drei Tage vorher wird ein 7jähriger Bub im Dorf Zif südlich von Hebron überfahren.
Gar getötet wird der 5jährige Einas bei Ramallah. Ein Siedler fährt im Oktober 2014 in ihn und ein weiteres Kind hinein.
Der jüngste Fall stammt vom 21. März 2015: Ein 6jähriges Mädchen aus Tuba wird von Steinen getroffen und an Kopf und Bein verletzt. Wieder sind maskierte Siedlern aus Havat Ma’on die Übeltäter.
1. Armee schützt Schülerinnen und Schüler
Nach einem schweren Vorfall vor zehn Jahren werden die Schulkinder nun an diesem Aussenposten und der dazugehörigen Siedlung vorbei von Soldaten nach At-Tuwani eskortiert.
Davon können wir uns an einem wunderschönen Frühlingsmorgen überzeugen. Eine der Aufgaben des Ökumenischen Begleitprogramms EAPPI ist es, Kinder auf dem Schulweg zu begleiten und ihnen Schutz gegen Siedler-Gewalt zu bieten. Um 7.30 Uhr, bei angenehmen 22 Grad, warten wir unterhalb der Siedlung und ihren gewaltigen Gewächshäusern auf die Kindergruppe. Voraus rennen drei Knaben, gefolgt von zwei mal drei Mädchen, alle mit Kopfschleier. Dahinter folgt mit einigem Abstand das kleinste Mädchen der Gruppe. Hinter zwei ältere Jungs, unmittelbar vor dem laut röhrenden, gepanzerten Armeefahrzeug. Uniformierte sind nur durch die Fenster zu erkennen. Eigentlich müssten die Soldaten zu Fuss auf die Kinder aufpassen. Doch zum Glück läuft heute alles rund.
Zum Schulschluss sind wir wieder da. Loslaufen können die Kinder aber erst weit nach 13.30 Uhr. Die Armee lässt sich viel Zeit, bevor sie zum täglichen Routineeinsatz eintrifft. Wir schauen zu, wie die ungewöhnliche Gruppe zwischen den Siedlungszäunen den Weg hoch geht. In den Pflanzungen sind Landarbeiter zu sehen. Sie drehen nicht einmal den Kopf. Wir warten, bis die Kinder auf dem bewaldeten Hügel nicht mehr zu sehen sind.
2. Armee schützt Kinder bei friedlicher Demonstration
Ein weiteres Beispiel von Armeeeinsatz gegen Siedler-Aggression erleben wir drei Tage später. Beim Dorf Shi’b al Butum nehmen palästinensische Familien in einer sogenannten Land Action ihr eigenes Land wieder in Besitz. Ein Gerichtsbeschluss verbietet ihnen, aber auch den Siedlern, das Betreten des Gebietes. Israelische Aktivisten und internationale Beobachter sind dabei. Spielerisch rennen Kinder über eine ungemähte Wiese Richtung Abhang beim durch Zaungitter abgeschotteten Aussenposten. Nicht lange geht’s, und schon tauchen hinter der Umzäunung die ersten Siedler auf, erkennbar an ihren weissen T-Shirts. Einer mit Knarre in der hinteren Tasche der Bermudashorts. Einzelne junge Männer stürmen raus, Richtung Kinder. Die Armee- und Grenzsoldaten gehen dazwischen, die Kinder rennen zu ihren Müttern zurück. Die Siedlergruppe beruhigt sich nicht. Sieben junge Männer und auch drei junge Frauen in weissen Shirts und blauen Röcken versuchen immer wieder am Militär vorbeizukommen. Erst nach einer Stunde geben sie auf.
Wir trinken Tee, der auf offenem Feuer zubereitet wird. Zwei Jugendliche gehen zu den fast dreissig Armeeangehörigen neben ihren lärmenden Pickups hinüber und bieten auch ihnen Tee an. Eine von fünf Soldatinnen unterhält sich lachend mit einer Mädchengruppe. Ihr Gewehr ist umgehängt.
Anmerkung: Gemäss der Vierten Genfer Konvention, dem Internationalen Gerichtshof und diversen UNO-Resolutionen sind alle israelischen Siedlungen und Aussenposten in der Westbank illegal. Die meisten Aussenposten, inklusive Havat Ma’on, das auch unter dem Namen Hill 833 figuriert, sind sogar gemäss israelischem Gesetz illegal.
Marcus, Yatta, 2. Mai 2015